07.02.2017
Justus-Liebig-Universität Gießen
Fachbereich 02: Wirtschaftswissenschaften
Seminar: Neue Entwicklungen in der Verhaltens�und Institutionenökonomik
Wintersemester 2017/18
Die gesamtwirtschaftliche Relevanz der Geldillusion
von
Niklas Bauer
Studiengang: M.Sc. Betriebswirtschaftslehre
Adresse: Weserstraße 14, 65604 Elz
Telefonnummer: 06431/57764
E-Mail-Adresse: niklas.bauer@wirtschaft.uni-giessen.de
Matrikelnummer: 1023487
Betreuer: Professor Dr. Max Albert
Verhaltens- und Institutionenökonomik (VWL VI)
- I -
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ............................................................................................................ - 1 -
2. Konzeptioneller Hintergrund............................................................................... - 2 -
2.1 Neutralität des Geldes und wirtschaftshistorischer Diskurs.......................... - 2 -
2.2 Geldillusion als mögliche Ursache nominaler Rigiditäten............................ - 3 -
3. Empirische Evidenz zur Geldillusion.................................................................. - 5 -
3.1 Experimentelles Design................................................................................. - 5 -
3.2 Ergebnisse ................................................................................................... - 11 -
3.3 Diskussion und Kritik.................................................................................. - 15 -
4. Schlussfolgerung und Fazit ............................................................................... - 17 -
5. Literaturverzeichnis........................................................................................... - 19 -
- 1 -
1. Einleitung
In der modernen makroökonomischen Theorie wird die Auffassung einer allgegenwär�tigen Neutralität des Geldes grundsätzlich abgelehnt. Nicht ganz einig ist man sich
jedoch dann, wenn es um die Ursachen nominaler Rigiditäten geht. So diskutiert man
beispielsweise den Einfluss von Preisanpassungskosten, vertraglicher Fixierungen von
Preisen und Löhnen, sowie Informationsasymmetrien. Die folgende Arbeit ordnet das
Konzept der Geldillusion im breiteren Kontext der möglichen Erklärungsmodelle no�minaler Rigiditäten ein.
Mithilfe von experimentellen Ergebnissen soll der Beitrag der Geldillusion zur Nicht�neutralität des Geldes isoliert von anderen Erklärungsansätzen ermittelt werden. Es
zeigt sich, dass auch dann nominale Rigiditäten entstehen, wenn für alternative Erklä-
rungen kontrolliert wird.
In Kapitel 2 werden zunächst einige grundlegende Begriffe definiert und Konzepte
erläutert, die für das weitere Verständnis dieser Arbeit von elementarer Bedeutung
sind. Anschließend wird in Kapitel 3 ein Experiment von Jean-Robert Tyran und Ernst
Fehr (2001: 1239-1262) vorgestellt und diskutiert. Kapitel 4 schließt mit einem Fazit
der Ergebnisse ab.
- 2 -
2. Konzeptioneller Hintergrund
2.1 Neutralität des Geldes und wirtschaftshistorischer Diskurs
Um dem Leser den Einstieg in die Thematik zu erleichtern, wird im Folgenden jene
vermeintliche Eigenschaft des Geldes diskutiert, welche in unmittelbarem Zusammen�hang mit dem Phänomen Geldillusion steht. Grundsätzlich bedeutet ein Vorliegen von
Geldneutralität, dass nominale Schocks keinerlei Auswirkungen auf reale makroöko�nomische Variablen haben. Erhöht eine Zentralbank beispielsweise die Geldmenge ei�ner Volkswirtschaft, so sollten sich Preise und Löhne proportional zur Geldmengen�erhöhung anpassen, sodass die realen Tauschverhältnisse konstant bleiben. Das reale
Bruttoinlandsprodukt, der reale Konsum und weitere reale Variablen bleiben infolge
einer solchen expansiven Geldpolitik unter Neutralität des Geldes unverändert.
Eine umfassendere wissenschaftliche Diskussion bezüglich der Idee des neutralen Gel�des begann spätestens im frühen 20. Jahrhundert. Friedrich August von Hayek (1931:
130-131) betrachtete Geldneutralität als einen Zustand, der nur bei Erfüllung eines
Katalogs verschiedener Kriterien eintreten kann. Demzufolge könne eine Verzerrung
der relativen Preise durch monetäre Einflüsse nur vermieden werden, wenn konstante
Geldströme und vollkommen flexible Preise gegeben sind. Zudem sei es zusätzlich
notwendig, dass vertraglich fixierte Preise auf einer korrekten Antizipation zukünfti�ger Preisbewegungen basieren. Hayek zufolge ist eine fortwährende Erfüllung dieser
Kriterien in der Praxis jedoch unmöglich.
Auch der Keynesianismus sieht die Neutralität des Geldes kritisch und verwirft die
Idee vollkommen flexibler Preise und Löhne. Demzufolge seien nominale Schocks
über rein in- bzw. deflationäre Effekte hinaus auch immer mit realen Konsequenzen
verbunden. John Maynard Keynes (1978: 408-411) selbst kritisierte die Vernachlässi�gung nominaler Einflüsse in der neoklassischen Theorie: Einzelne Aspekte nominaler
Rigiditäten seien Ökonomen wie Alfred Marshall und Arthur Cecil Pigou zwar durch�aus bewusst gewesen. Die weitreichenden und fundamentalen Unterschiede einer nach
Keynes‘ Auffassung realitätsnäheren monetären Volkswirtschaft1
hinsichtlich der ver�einfachten, realwirtschaftlichen Darstellung der neoklassischen Theorie seien aber
1 Unter dem Begriff „monetäre Volkswirtschaft“ wird hier eine exemplarische Volkswirtschaft verstan�den, bei dessen Analyse auf eine separate Betrachtung der realen Märkte und des Geldmarktes (klassi�sche Dichotomie) verzichtet wird.
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erheblich unterschätzt worden. In dieser Beurteilung spiegelt sich Keynes‘ Ablehnung
der klassischen Dichotomie wider.
Das Theoriegebäude des Monetarismus hingegen betrachtet die Neutralität des Geldes
differenzierter und unterscheidet diesbezüglich zwischen der kurzen und der langen
Frist. Diese Annahme lässt sich anhand eines prominenten Beispiels von Milton Fried�man (1969: 2-6) illustrieren: Über einer modellhaften Gemeinde wird eines Tages eine
große Menge Bargeld aus einem Helikopter abgeworfen. Es wird angenommen, dass
sich die Bargeldbestände der Wirtschaftssubjekte dieser Gemeinde infolge dieser dras�tischen Form der expansiven Geldpolitik verdoppeln. Friedman zufolge wird dieses
Ereignis in der langen Frist jedoch ohne realwirtschaftliche Konsequenzen bleiben, da
die grundlegenden Bedingungen dieser beispielhaften Volkswirtschaft unverändert
bleiben. So führt die Geldmengenerhöhung etwa nicht zu zusätzlicher Produktionska�pazität oder veränderten Präferenzen. Daher werden die Versuche der Wirtschaftssub�jekte, mit ihrem zusätzlichen Einkommen mehr zu konsumieren, erfolglos bleiben, zu�gleich aber die Preise von Gütern und Dienstleistungen in die Höhe treiben. Kurzfristig
kann das Helikoptergeld jedoch zu einer Verzerrung der realen Tauschverhältnisse
führen. So könnten einige Produzenten ihre Preise nur mit zeitlicher Verzögerung an�passen, während andere auf die erhöhte Nachfrage mit einer Erhöhung ihrer Produk�tion durch nicht marktwirtschaftlichen Ressourcengebrauch reagieren.
2.2 Geldillusion als mögliche Ursache nominaler Rigiditäten
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine stets gegebene Neutralität des Geldes
spätestens seit der keynesianischen Revolution zunehmend abgelehnt wurde. Neben
diversen Unstimmigkeiten in Bezug auf die konkrete Ausprägung nominaler Einflüsse
auf die Realwirtschaft steht im zeitgenössischen wirtschaftswissenschaftlichen Dis�kurs daher vielmehr die Frage nach den Ursachen des nicht neutralen Geldes im Vor�dergrund. Diesbezüglich werden unterschiedliche potenzielle Einflussfaktoren disku�tiert. Prominente Beispiele sind die Kosten der Preisanpassung, vertraglich fixierte
Preise und Löhne, sowie Informationsasymmetrien. Auch bestimmte Marktformen
könnten die Bildung eines Gleichgewichtspreises verhindern beziehungsweise verzö-
gern. In Bezug auf Löhne betont vor allem der Keynesianismus eine Abwärtsrigidität,
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welche nicht zuletzt durch den Einfluss von Gewerkschaften, Tarifabkommen und
Mindestlöhnen erklärt werden kann.
Hinsichtlich verhaltensspezifischer Erklärungsansätze erwägt die Literatur auch den
möglichen Einfluss individueller Irrationalitäten. So vermuten beispielsweise George
A. Akerlof und Janet L. Yellen (1985: 823-837), dass geringe Abweichungen indivi�dueller Wirtschaftssubjekte vom rationalen Verhalten („near-rationality“) nach nomi�nalen Schocks zu verzögerter Lohn- und Preisanpassung führen können. So mag sub�optimales Verhalten für den einzelnen Entscheidungsträger nur mit geringen zusätzli�chen Kosten verbunden sein, während es im Aggregat jedoch erhebliche realwirt�schaftliche Auswirkungen haben kann (Akerlof und Yellen 1985: 823-837).
Auch die Geldillusion stellt einen individuellen Aspekt irrationalen Verhaltens dar,
welcher eine nicht vorhandene Neutralität des Geldes erklären könnte. Grundsätzlich
bedeutet ein Vorliegen von Geldillusion, dass ein Akteur nicht imstande ist, in- bzw.
deflationäre Entwicklungen korrekt wahrzunehmen. So werden rein nominale Wert�veränderungen als reale Wertveränderungen wahrgenommen, was eine verzerrte Sicht
auf die eigene Vermögenssituation und das reale Preis- und Lohnniveau zur Folge hat.
Diese fehlerhafte Beurteilung der realen Tauschverhältnisse sollte letztlich die Ent�scheidungsfindung eines Wirtschaftssubjekts beeinflussen und somit reale Effekte,
wie beispielsweise zu- oder abnehmenden Konsum, hervorrufen.
Trotz des potenziellen Erklärungsgehalts der Geldillusion im Kontext nominaler Rigi�ditäten verwarfen viele Ökonomen des 20. Jahrhunderts die Idee einer solchen kogni�tiven Verzerrung. Auch Ernst Fehr und Jean-Robert Tyran (2001: 1239-1260) betonen
die historisch betrachtet nur mäßige wissenschaftliche Aufarbeitung dieses Phäno�mens und versuchen, etwaige realwirtschaftliche Konsequenzen der Geldillusion ex�perimentell zu ergründen. Im Folgenden werden nun ausgewählte Experimente zur
Geldillusion beschrieben, diskutiert und deren Ergebnisse schließlich im breiteren wis�senschaftlichen Kontext nominaler Rigiditäten eingeordnet.
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3. Empirische Evidenz zur Geldillusion
3.1 Experimentelles Design
Um Erkenntnisse über etwaige Auswirkungen der Geldillusion auf die Realwirtschaft
zu gewinnen, führten Ernst Fehr und Jean-Robert Tyran (2001: 1239-1260) ein Expe�riment durch, welches den Effekt der Geldillusion, isoliert von anderen möglichen Ur�sachen nominaler Rigiditäten, analysiert. Dabei beabsichtigten die Autoren nicht, an�dere Erklärungen für die Nichtneutralität des Geldes anzuzweifeln, sondern vielmehr,
ebendiese um einen weiteren Faktor zu ergänzen (Fehr und Tyran 2001: 1239). Nach�folgend soll das experimentelle Design von Fehr und Tyran (2001: 1239-1260) aus�führlich erläutert werden.
Die Autoren konzipierten ein Preissetzungsspiel mit strategischer Komplementarität
und eindeutigem Gleichgewicht, in welchem n Spieler anonym via Computer intera�gieren. In vier verschiedenen Versuchsbedingungen können die Spieler in jeder Peri�ode ihren nominalen Preis ohne Kosten anpassen.2 Die Preisentscheidung erfolgt stets
simultan. Dabei gilt es, unabhängig von der Versuchsbedingung, folgende reale Aus�zahlungsfunktion zu maximieren:
(1) πi = πi (Pi, P̅-i, M) i = 1, … , n
Die reale Auszahlung von Spieler i ist durch πi gegeben, während Pi ∈ {1, 2, … , 30}
dessen nominalen Preis darstellt. P̅-i stellt den durchschnittlichen Preis der übrigen n-
1 Spieler dar, wohingegen die Geldmenge durch M gegeben ist. Die nominale Auszah�lung für Spieler i ergibt sich aus dem Produkt P̅-i πi.
3 Alle Versuchsteilnehmer erhalten
eine Auszahlungsmatrix, mit deren Hilfe sich die, je nach Versuchsbedingung, nomi�nale oder reale Auszahlung einfach maximieren lässt. So kann ein Spieler in der Aus�zahlungsmatrix leicht die Auszahlung finden, die mit einem bestimmten Preisniveau
P̅-i einhergeht, und dementsprechend seinen eigenen Preis Pi wählen.
2 Durch diese Bedingung wird ein Effekt von Preisanpassungskosten auf die Bildung des Gleichge�wichts ausgeschlossen. Somit kann für diese weitere Erklärung nominaler Rigiditäten kontrolliert wer�den.
3 Es sei darauf hingewiesen, dass sowohl die reale als auch die nominale Auszahlung eines Spielers i
Funktionen von P̅-i, also des Durchschnittspreises der anderen Spieler, sind. Der eigene Preis Pi hat also
keinen Einfluss auf P̅-i. Dieser Umstand soll zum einen die Umrechnung von nominalen Werten in reale
Werte erleichtern. Des Weiteren fällt es den Versuchsteilnehmern so leichter, eine beste Antwort auf
den erwarteten Durchschnittspreis der anderen Spieler zu finden.
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Zusätzlich zur Angabe ihres ganzzahligen, nominalen Preises Pi sind die Versuchsteil�nehmer aufgefordert, eine Erwartung des Durchschnittspreises der übrigen Spieler P̅
e
-i
anzugeben. Bezüglich dieser Erwartung sollen die Teilnehmer auch eine Einschätzung
darüber angeben, wie sicher sie sich über ihre Wahl von P̅
e
-i sind. Am Ende jeder Peri�ode werden die Versuchsteilnehmer über einen Ergebnisbildschirm über ihre reale
Auszahlung πi und die tatsächliche Realisation von P̅-i aufgeklärt. Der Ergebnisbild�schirm informiert die Spieler auch über die vorherigen Werte von Pi, πi und P̅-i.
Die Versuchsbedingungen lassen sich anhand zweier Merkmale unterscheiden. So las�sen die Autoren Versuchsteilnehmer sowohl gegen menschliche als auch computerge�steuerte Mitspieler antreten. Zudem werden die Auszahlungen, ebenfalls abhängig von
der jeweiligen Bedingung, entweder in realen oder nominalen Werten angegeben. In
letzterem Falle müssen die Versuchsteilnehmer die nominalen Werte in reale Werte
umrechnen. Um sicherzustellen, dass die Teilnehmer dazu in der Lage sind, müssen
sie vor dem Experiment eine Reihe von Übungsaufgaben lösen. Tabelle 1 gewährt
einen Überblick über die Versuchsbedingungen und deren wesentliche Merkmale. Die
Zusammensetzung der insgesamt 67 Gruppen ändert sich über das gesamte Spiel hin�weg nicht. Innerhalb jeder Gruppe gibt es je zwei Spieler des Typs x und zwei Spieler
des Typs y mit jeweils unterschiedlichen Auszahlungsfunktionen und -matrizen. Jeder
Teilnehmer erhält zusätzlich zur Auszahlungsmatrix seines eigenen Typs auch die
Matrix des jeweils anderen Typs. Die computergesteuerten Mitspieler sind so pro�grammiert, dass sie stets eine beste Antwort spielen, worüber die Versuchsteilnehmer
in den Bedingungen RC und NC informiert sind.
Das Preissetzungsspiel wird, unabhängig von der Spezifikation, in zwei gleich lange
Phasen unterteilt, in denen jeweils eine unterschiedliche Geldmenge M im Umlauf ist.
So ereignet sich nach 10 (bei den Versuchsbedingungen mit computergesteuerten Mit�spielern) bzw. 20 Perioden (bei den Bedingungen mit menschlichen Mitspielern) ein
von den Versuchsteilnehmern erwarteter, negativer monetärer Schock, welcher die
Geldmenge M auf ein Drittel des ursprünglichen Wertes reduziert.
4 Dementsprechend
sinkt auch der gleichgewichtige Durchschnittspreis P̅* nach dem monetären Schock
4 Der monetäre Schock wird implementiert, indem die Versuchsteilnehmer neue Auszahlungsmatrizen
erhalten. Anschließend wird ihnen ausreichend Zeit gewährt, sich mit den neuen Matrizen auseinander�zusetzen.
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auf ein Drittel des Ausgangswerts. Tabelle 2 gibt die absoluten Werte aller Variablen
wider.
reale Auszahlungen nominale Auszahlungen
computergesteuerte
Mitspieler
RC NC
• Auszahlungen werden in realen
Werten angegeben
• Auszahlungen werden in nomina--
..len Werten angegeben
• 22 Gruppen mit je einem Versuchs�teilnehmer und 3 computergesteuerten
Mitspielern
• 24 Gruppen mit je einem Versuchs-
-.teilnehmer und 3 computerge�steuer-..ten Mitspielern
• 20 Perioden t • 20 Perioden t
menschliche
Mitspieler
RH NH
• Auszahlungen werden in realen
Werten angegeben
• Auszahlungen werden in nomina--
..len Werten angegeben
• 10 Gruppen mit jeweils 4 mensch-
-.lichen Spielern
• 11 Gruppen mit jeweils 4 mensch-
-.lichen Spielern
• 40 Perioden t • 40 Perioden t
Tab. 1: Zusammenfassung der vier Versuchsbedingungen. Eigene Darstellung
nach Fehr und Tyran (2001: 1243-1247).
Variable
Wert vor
monetärem
Schock
Wert nach
monetärem
Schock
Geldmenge M 42 14
Gleichgewichtspreis für Typ x 9 3
gleichgewichtige Preiserwartung P̅
e
-i für Typ x 21 7
Gleichgewichtspreis für Typ y 27 9
gleichgewichtige Preiserwartung P̅
e
-i für Typ y 15 5
gleichgewichtiger Durchschnittspreis P̅
* 18 6
Tab. 2: Absolute Werte der Variablen. Die gleichgewichtige Preiserwartung
P̅
e
-i ergibt sich als erwarteter Wert des durchschnittlichen Preises P̅-i der
drei anderen Spieler im Gleichgewicht. Eigene Darstellung nach Fehr
und Tyran (2001: 1247).
Die Phase vor dem Schock dient einerseits dazu, dass sich die Versuchsteilnehmer mit
dem Preissetzungsspiel und der Computeroberfläche vertraut machen können. Ande�rerseits möchten die Autoren jedoch auch beobachten, ob sich vor dem Schock über�haupt ein Gleichgewicht einstellt, da nur so Rückschlüsse auf einen potenziell desta�bilisierenden Effekt der Geldillusion möglich sind. Das Verhalten der Versuchsteil�nehmer in der Phase nach dem monetären Schock ist für die Autoren von besonderem
Interesse, da sich hier Ursachen nominaler Rigiditäten differenziert untersuchen las�sen. Diese isolierte Betrachtung wird durch einen Vergleich der Ergebnisse der vier
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Versuchsbedingungen ermöglicht. So lassen sich die Effekte des monetären Schocks
in jeder Periode einer jeden Versuchsbedingung quantifizieren, indem man die Abwei�chung des Durchschnittspreises P̅vom gleichgewichtigen Durchschnittspreis P̅* er�mittelt. Die Persistenz etwaiger Rigiditäten lässt sich beobachten, indem man die Ent�wicklung dieser Abweichungen über mehrere Perioden hinweg betrachtet.
In den Versuchsbedingungen RC und RH lassen sich jegliche Effekte von Geldillusion
ausschließen, da die Auszahlungen in realen Werten angegeben werden. Sollten die
Versuchsteilnehmer in den realen Bedingungen ein bereits erreichtes Gleichgewicht
nach Eintritt des monetären Schocks wieder verlassen, so deutet dies darauf hin, dass
neben der Geldillusion weitere individuelle Irrationalitäten relevant sein könnten. In
der realen Versuchsbedingung mit menschlichen Mitspielern (RH) können zudem Ko�ordinationsprobleme das Zustandekommen und die Erhaltung des Gleichgewichts stö-
ren. Sollten sich in Bedingung RH im Vergleich zu RC zusätzliche Verzerrungen bei
der Preisanpassung beobachten lassen, so lässt sich der Effekt von Koordinationsprob�lemen, sowie die Interaktion dieser Koordinationsprobleme mit anderen Irrationalitä-
ten, isolieren. Abbildung 1 verdeutlicht, wie ein Vergleich von RC und RH eine iso�lierte Betrachtung der genannten potenziellen Ursachen nominaler Rigiditäten ermög�licht.
In den Versuchsbedingungen NC und NH wiederum kann Geldillusion die Bildung
des Gleichgewichts nach dem monetären Schock beeinflussen, da die Versuchsteil�nehmer hier nominale Auszahlungen in reale Auszahlungen umrechnen müssen. Ver�gleicht man also die Preisentwicklung in NC mit der in RC, so erlaubt dies eine iso�lierte Betrachtung der Geldillusion auf der individuellen Ebene (siehe Abbildung 2).
Dies ist möglich, da in RC keine Geldillusion, aber andere individuelle Irrationalitäten
auftreten können. Eine noch stärkere disruptive Wirkung des monetären Schocks in
NC würde dann darauf hindeuten, dass Versuchsteilnehmer die deflationäre Entwick�lung nicht korrekt verarbeiten und somit von Geldillusion betroffen sind. In NH kön�nen potenziell alle Ursachen nominaler Rigiditäten beobachtet werden, die sich mit
dem Experiment von Fehr und Tyran erfassen lassen. So ist das Auftreten von
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Koordinationsproblemen und individuellen Irrationalitäten einschließlich Geldillusion
möglich.
Abb. 1: Schematische Darstellung der Vorgehensweise der Autoren, um den
Effekt bestimmter möglicher Ursachen nominaler Rigiditäten abseits
der Geldillusion isoliert zu betrachten. ΔP̅RC quantifiziert den Effekt an�derer individueller Irrationalitäten. ΔP̅RH beschreibt den Effekt ebendie�ser individuellen Irrationalitäten einschließlich des Effekts von Koordi�nationsproblemen. Die Differenz ΔP̅RH – ΔP̅RC misst schließlich den
Effekt von Koordinationsproblemen inklusive des Effekts einer Inter�aktion dieser Koordinationsprobleme mit den erwähnten anderen indi�viduellen Irrationalitäten. Eigene Darstellung nach Fehr und Tyran
(2001: 1244-1245).
In der nominalen Versuchsbedingung mit menschlichen Mitspielern (NH) kann sich
Geldillusion jedoch im Gegensatz zur Situation in NC auf zweierlei Art und Weise
auswirken. So ist einerseits, genau wie in Bedingung NC, ein direkter Effekt der
Geldillusion denkbar. Dies bedeutet, dass ein Versuchsteilnehmer nach dem negativen
monetären Schock zögert, seine nominalen Preise ausreichend zu reduzieren, da er
eine daraus resultierende, niedrigere nominale Auszahlung mit einer niedrigeren rea�len Auszahlung assoziiert. Zusätzlich dazu ist jedoch auch ein indirekter Effekt mög�lich. So könnten Versuchsteilnehmer in Bedingung NH vermuten, dass andere Spieler
in ihrer Gruppe von Geldillusion betroffen sind. Aufgrund strategischer
RC
Effekt individueller Irratio�nalitäten (mit Ausnahme von
Geldillusion)
P̅RC – P̅
*
RC = ΔP̅RC
RH
Effekt von Koordinations�problemen und individuellen
Irrationalitäten (mit Aus�nahme von Geldillusion)
P̅RH – P̅
*
RH = ΔP̅RH
Effekt von Koordinationsproblemen und
Interaktion der Koordinationsprobleme
mit anderen individuellen Irrationalitäten
ΔP̅RH – ΔP̅RC
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Komplementarität hätten diese Versuchsteilnehmer einen Anreiz, das Verhalten der
anderen Spieler zu imitieren und die Reduzierung der nominalen Preise ebenfalls hin�auszuzögern.5 Vergleicht man also die Abweichungen vom gleichgewichtigen Durch�schnittpreis in NH und RH, so lässt sich der Gesamteffekt der Geldillusion isolieren.
Fällt dieser Gesamteffekt stärker aus als der direkte Effekt der Geldillusion, welcher
sich durch einen Vergleich von NC und RC ergibt, so deutet dies auf die Relevanz
indirekter Effekte der Geldillusion hin (siehe Abbildung 3).
Abb. 2: Schematische Darstellung der Vorgehensweise der Autoren, um den di�rekten Effekt der Geldillusion zu isolieren. ΔP̅RC misst den Effekt indi�vidueller Irrationalitäten exklusive Geldillusion. ΔP̅NC quantifiziert den
Effekt individueller Irrationalitäten inklusive Geldillusion. ΔP̅NC – ΔP̅RC
misst schließlich den direkten Effekt der Geldillusion. Eigene Darstel�lung nach Fehr und Tyran (2001: 1244).
5
In Versuchsbedingung NC kann dieser indirekte Effekt nicht auftreten, da die Versuchsteilnehmer hier
wissen, dass ihre computergesteuerten Mitspieler immer beste Antworten spielen.
RC
Effekt individueller Irratio�nalitäten mit Ausnahme von
Geldillusion
P̅RC – P̅
*
RC = ΔP̅RC
NC
Effekt individueller Irrationa�litäten inklusive Geldillusion
P̅NC – P̅
*
NC = ΔP̅NC
direkter Effekt von Geldillusion
ΔP̅NC – ΔP̅RC
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Abb. 3: Schematische Darstellung der Vorgehensweise der Autoren, um den in�direkten Effekt der Geldillusion zu isolieren. ΔP̅RH quantifiziert den Ef�fekt von Koordinationsproblemen und individuellen Irrationalitäten ex�klusive Geldillusion. ΔP̅NH misst den Effekt von Koordinationsproble�men und individuellen Irrationalitäten inklusive Geldillusion (direkt
und indirekt). ΔP̅NH – ΔP̅RH berechnet den Gesamteffekt der Geldillu�sion. (ΔP̅NH – ΔP̅RH) – (ΔP̅NC – ΔP̅RC) misst schließlich den indirekten
Effekt der Geldillusion. Eigene Darstellung nach Fehr und Tyran (2001:
1245).
3.2 Ergebnisse
Nachfolgend werden die Resultate des Experiments von Fehr und Tyran (2001: 1249-
1254) zusammengefasst. Tabelle 3 gewährt eine Übersicht der numerischen Ergeb�nisse. Abbildung 4 stellt die durchschnittlichen Abweichungen vom Gleichgewichts�preis ΔP̅für alle Perioden und Versuchsbedingungen grafisch dar.
RH
Effekt von Koordinations�problemen und individuellen
Irrationalitäten (mit Aus�nahme von Geldillusion)
P̅RH – P̅
*
RH = ΔP̅RH
NH
Effekt von Koordinationsprob�lemen und individuellen Irratio�nalitäten inklusive direkter und
indirekter Geldillusion
P̅NH – P̅
*
NH = ΔP̅NH
Gesamteffekt von Geldillusion
ΔP̅NH – ΔP̅RH
(ΔP̅NH – ΔP̅RH) – (ΔP̅NC – ΔP̅RC)
indirekter Effekt von Geldillusion
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Periode t P̅RC P̅NC P̅RH P̅NH ΔP̅RC ΔP̅NC ΔP̅RH ΔP̅NH
-20 17,6 18,5 -0,4 0,5
-19 18,2 19,3 0,2 1,3
-18 17,8 19,1 -0,2 1,1
-17 17,7 19,4 -0,3 1,4
-16 17,9 19,2 -0,1 1,2
-15 18,3 19,1 0,3 1,1
-14 17,6 18,2 -0,4 0,2
-13 17,9 18,6 -0,1 0,6
-12 17,9 18,7 -0,1 0,7
-11 17,6 18,3 -0,4 0,3
-10 17,9 15,2 17,8 18,4 -0,1 -2,8 -0,2 0,4
-9 18,1 17,0 17,5 18,2 0,1 -1,0 -0,5 0,2
-8 17,8 17,2 17,6 19,0 -0,2 -0,8 -0,4 1,0
-7 18,0 18,0 17,7 18,3 0,0 0,0 -0,3 0,3
-6 17,6 17,2 17,6 18,2 -0,4 -0,8 -0,4 0,2
-5 18,0 17,7 18,1 18,3 0,0 -0,3 0,1 0,3
-4 18,0 18,1 18,1 18,4 0,0 0,1 0,1 0,4
-3 17,8 16,1 17,6 18,6 -0,2 -1,9 -0,4 0,6
-2 18,4 18,3 17,9 18,2 0,4 0,3 -0,1 0,2
-1 18,0 17,0 18,0 18,2 0,0 -1,0 0,0 0,2
1 6,0 8,1 9,1 13,1 0,0 2,1 3,1 7,1
2 7,0 7,4 7,7 12,9 1,0 1,4 1,7 6,9
3 6,0 6,8 7,4 11,4 0,0 0,8 1,4 5,4
4 6,0 6,4 6,9 10,4 0,0 0,4 0,9 4,4
5 6,0 6,9 7,0 9,9 0,0 0,9 1,0 3,9
6 6,0 6,8 6,6 10,2 0,0 0,8 0,6 4,2
7 6,0 7,5 6,3 9,7 0,0 1,5 0,3 3,7
8 6,0 6,8 6,4 9,1 0,0 0,8 0,4 3,1
9 6,0 6,5 6,3 8,7 0,0 0,5 0,3 2,7
10 5,9 6,5 6,8 8,6 -0,1 0,5 0,8 2,6
11 6,1 8,1 0,1 2,1
12 6,2 7,6 0,2 1,6
13 6,2 7,2 0,2 1,2
14 6,2 6,9 0,2 0,9
15 6,1 6,7 0,1 0,7
16 6,1 7,3 0,1 1,3
17 6,0 6,8 0,0 0,8
18 6,1 7,2 0,1 1,2
19 6,1 7,5 0,1 1,5
20 6,2 7,0 0,2 1,0
Tab. 3: Numerische Darstellung der Ergebnisse. Spalten 2 bis 5 geben die
Durchschnittspreise P̅jeder Periode für alle Versuchsbedingungen an.
Spalten 6 bis 9 geben für jede Periode und Versuchsbedingung die Ab�weichung des Durchschnittspreises P̅ vom gleichgewichtigen Durch�schnittspreis P̅
*
an. Für alle Versuchsbedingungen gilt: P̅
*
t = 18 für
t ≤ -1 und P̅
*
t = 6 für t ≥ 1. Eigene Darstellung nach Fehr und Tyran
(2001: 1250).
Es zeigt sich, dass die Versuchsteilnehmer in Bedingung RC kaum Probleme damit
haben, das Gleichgewicht zu erreichen und zu halten. Abgesehen von Periode 2 errei�chen die Spieler auch nach Eintritt des nominalen Schocks im Durchschnitt nahezu
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immer das Gleichgewicht. Der Effekt individueller Irrationalitäten exklusive Geldil�lusion, welcher durch ΔP̅RC quantifiziert wird, ist also verhältnismäßig gering bis nicht
vorhanden. Diese Schlussfolgerung wird auch durch die Beobachtung der Autoren be�kräftigt, dass in den meisten Perioden von RC nahezu alle Versuchsteilnehmer das
Gleichgewicht spielen.
Abb. 4: Grafische Darstellung von ΔP̅, der durchschnittlichen Abweichung
vom Gleichgewichtspreis, für alle Perioden und Versuchsbedingungen.
Eigene Darstellung nach Fehr und Tyran (2001: 1250).
Die Preisentwicklung von NC weist im Vergleich zu RC über das gesamte Spiel hin�weg eine höhere Volatilität auf. Das Gleichgewicht wird vor und nach dem Schock
nur selten so genau erreicht wie in RC. Selbst in der letzten Periode liegt der Durch�schnittspreis P̅NC noch 0,5 Geldeinheiten über dem gleichgewichtigen Durchschnitts�preis P̅
*
. Da die Differenz ΔP̅NC – ΔP̅RC nach dem Schock stets leicht positiv ausfällt,
schlussfolgern Fehr und Tyran, dass ein geringer direkter Effekt der Geldillusion vor�liegt.
In Versuchsbedingung RH stellt sich das Gleichgewicht von Beginn des Experiments
an annährend ein. Nach dem monetären Schock wird das Gleichgewicht im Durch�schnitt jedoch kurzzeitig verlassen. So liegt ΔP̅RH unmittelbar nach dem Schock 3,1
Geldeinheiten über P̅
*
. Ab Periode 6 stellt sich das Gleichgewicht im Durchschnitt
wieder näherungsweise ein. Fehr und Tyran betonen, dass dies nicht nur ein Aggrega�tionseffekt ist. So zeige die Verteilung der individuellen Preisentscheidungen deutlich,
-4
-2
0
2
4
6
8
-20 -16 -12 -8 -4 1 4 8 12 16 20
ΔP̅RC ΔP̅NC ΔP̅RH ΔP̅NH ΔP̅RC ΔP̅NC ΔP̅RH ΔP̅NH
Periode
ΔP̅
- 14 -
dass sich die Versuchsteilnehmer nach dem negativen monetären Schock wieder dem
Gleichgewichtspreis P̅
*
nähern. Da die Ergebnisse der Bedingung RC zeigen, dass in�dividuelle Irrationalitäten abseits der Geldillusion wenn überhaupt nur eine vernach�lässigbare Rolle zu spielen scheinen, schlussfolgern die Autoren, dass sich die verzö-
gerte Gleichgewichtsbildung in RH nahezu gänzlich durch den Effekt von Koordina�tionsproblemen erklären lässt.6
In Versuchsbedingung NH wirkt sich der nominale Schock mit Abstand am stärksten
aus. In den Perioden vor dem Schock stellt sich im Schnitt annährend das Gleichge�wicht ein. Auch hier handelt es sich nicht bloß um einen Effekt der Aggregation. So
wählen in Periode -1 80% der Versuchsteilnehmer exakt den Gleichgewichtspreis P
*
in Höhe von 18 Geldeinheiten. Dies ändert sich schlagartig nach der Implementation
des negativen monetären Schocks. In Periode 1 entscheiden sich nur noch 11,5% der
Spieler für P
*
, während der Durchschnittspreis P̅NH gar 7,1 Geldeinheiten über dem
gleichgewichtigen Durchschnittspreis P̅
*
liegt. Wie Spalte 9 in Tabelle 3 zeigt, ist die
Auswirkung des Schocks in NH äußerst persistent. So liegt P̅NH selbst in Periode 11
noch 2,1 Geldeinheiten über P̅
*
. Da die Wirkung des nominalen Schocks in der nomi�nalen Versuchsbedingung mit menschlichen Mitspielern (NH) deutlich stärker ausfällt
als in der nominalen Bedingung mit computergesteuerten Mitspielern (NC), vermuten
die Autoren einen substanziellen indirekten Effekt der Geldillusion. Diese Wirkung
lässt sich beobachten, indem die Ergebnisse aller Versuchsbedingungen, wie bereits in
Kapitel 3.1.1 (siehe Abbildung 3) beschrieben, miteinander verglichen werden. Ta�belle 4 bildet diesen Vergleich für die Perioden -10 bis 10 ab.7 Es zeigt sich, dass die
Gesamteffekte der Geldillusion, gemessen durch die Differenz ΔP̅NH – ΔP̅RH, nach dem
monetären Schock über alle Perioden hinweg deutlich stärker ausfallen als die isolier�ten direkten Effekte der Geldillusion, welche durch ΔP̅NC – ΔP̅RC quantifiziert werden
können. Diese Beobachtung stützt die Vermutung der Autoren, dass es einen starken
indirekten Effekt der Geldillusion gibt, welcher den direkten Effekt deutlich übertrifft.
Die Vermutung, dass andere Spieler direkt von Geldillusion betroffen sein könnten,
6 Da die Effekte individueller Irrationalitäten exklusive Geldillusion vernachlässigt werden können,
kann zwangsläufig auch die Interaktion ebendieser Irrationalitäten mit Koordinationsproblemen ver�nachlässigt werden.
7 Eine Betrachtung über 40 Perioden ist hier nicht möglich, da die Versuchsbedingungen mit menschli�chen Mitspielern nur 20 Perioden umfassen.
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scheint für die Verursachung nominaler Rigiditäten also weitaus relevanter zu sein als
der direkte Effekt der Geldillusion selbst.
Tab. 4: Vergleich der Gesamteffekte der Geldillusion, quantifiziert durch
ΔP̅NH – ΔP̅RH, und der isolierten direkten Effekte der Geldillusion, ge�messen anhand der Differenz ΔP̅NC – ΔP̅RC. Eigene Darstellung nach
Fehr und Tyran (2001: 1250-1254).
3.3 Diskussion und Kritik
Die Vorgehensweise von Fehr und Tyran (2001: 1239-1262) zeigt, dass es Laborex�perimente trotz der abstrakten und zuweilen „künstlichen“ Atmosphäre prinzipiell er�möglichen, das Phänomen Geldillusion genauer zu analysieren. Da es sich durchaus
schwierig gestalten würde, Effekte der Geldillusion mittels Sekundärdaten empirisch
nachzuweisen, bietet sich ein solches Laborexperiment trotz erhöhtem Aufwand als
adäquates Substitut an. Auch die Ergebnisse von Fehr und Tyran (2001: 1249-1260)
scheinen insbesondere für die substanzielle Relevanz eines indirekten Effekts der
Periode t ΔP̅NH – ΔP̅RH ΔP̅NC – ΔP̅RC
-10 0,6 -2,7
-9 0,7 -1,1
-8 1,4 -0,6
-7 0,6 0
-6 0,6 -0,4
-5 0,2 -0,3
-4 0,3 0,1
-3 1 -1,7
-2 0,3 -0,1
-1 0,2 -1
1 4 2,1
2 5,2 0,4
3 4 0,8
4 3,5 0,4
5 2,9 0,9
6 3,6 0,8
7 3,4 1,5
8 2,7 0,8
9 2,4 0,5
10 1,8 0,6
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Geldillusion zu sprechen. Dennoch wirft eine genauere Betrachtung der Ergebnisse
einige ungeklärte Fragen auf, die nachfolgend diskutiert werden.
8
Spalte 7 von Tabelle 3 gibt die Abweichung des Durchschnittspreises P̅NC vom Gleich�gewichtspreis P̅
*
für alle Perioden wieder. Da die 10 Perioden nach dem nominalen
Schock durch eine persistente, im Vergleich zu NH jedoch nur leichte positive Abwei�chung vom Gleichgewicht gekennzeichnet sind, und sich in RC in fast jeder Periode
annähernd ein Gleichgewicht bildet, schließen die Autoren auf einen geringen direkten
Effekt der Geldillusion. Es fällt allerdings auf, dass in NC auch die 10 Perioden vor
dem Schock im Durchschnitt Abweichungen vom Gleichgewicht aufweisen, welche
in absoluter Höhe ähnlich hoch ausfallen wie jene Abweichungen ΔP̅NC, welche sich
nach dem Schock beobachten lassen. Es ist daher fraglich, ob der nominale Schock
wirklich eine disruptive Wirkung auf das Preissetzungsspiel hat. Dies ist auch insbe�sondere deswegen zu hinterfragen, da sich keine der drei anderen Versuchsbedingun�gen in der letzten Periode vor dem monetären Schock derart stark im Ungleichgewicht
befindet wie NC.
Aufgrund dieser Auffälligkeit lässt sich ein direkter Effekt von Geldillusion, ausgelöst
durch die Implementierung des monetären Schocks, anzweifeln. So sind auch andere
Ursachen für die beobachteten Werte von ΔP̅NC nicht auszuschließen. Es ist beispiels�weise möglich, dass es in Versuchsbedingung NC einige Teilnehmer gibt, die statt
Geldillusion (zusätzlich) von anderen individuellen Irrationalitäten betroffen sind. In
diesem Kontext ist es auch denkbar, dass die Spielanweisungen nicht korrekt verstan�den wurden. Aufgrund der verhältnismäßig geringen Teilnehmerzahl von 24 Personen
in Versuchsbedingung NC lässt sich eine solche potenzielle Ausreißerproblematik
nicht ohne weiteres ignorieren.
Zur Verteidigung der Argumentation von Fehr und Tyran ist jedoch auch anzumerken,
dass ΔP̅NC vor dem nominalen Schock bis auf zwei Ausnahmen stets negative Werte
aufweist. In den Perioden nach dem Schock ist ΔP̅NC jedoch durchweg positiv. Da
Geldillusion im Falle eines negativen monetären Schocks erwartungsgemäß mit zu
8 Die nachfolgende Diskussion bezieht sich, wie bereits die Ausführungen in den vorherigen Kapiteln,
auf Fehr und Tyran (2001: 1239-1262).
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hohen Preisentscheidungen einhergehen sollte, scheint ein direkter Effekt der Geldil�lusion in keinem Falle gänzlich ausgeschlossen zu sein.
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Argumentation bezüglich der Effekte von Koor�dinationsproblemen. Anhand der Ergebnisse von Versuchsbedingung RH argumentie�ren die Autoren für einen disruptiven Einfluss von Koordinationsproblemen, der sich
insbesondere in den ersten drei Perioden nach dem Schock zeige. In diesem Zeitraum
sind die Werte von ΔP̅RH auffallend positiv (siehe Tabelle 3, Spalte 8). Wie bereits in
den Kapiteln 3.1.1 und 3.1.2 beschrieben, ermöglicht der Vergleich der Ergebnisse
von RH und RC eine isolierte Betrachtung der Koordinationsprobleme. Betrachtet man
jedoch alle Ausprägungen von ΔP̅RH, so fällt auf, dass vor dem Schock, insbesondere
auch in den Perioden -20 bis -18, im Durchschnitt stets ein annäherndes Gleichgewicht
gespielt wird. Koordinationsprobleme sollten in einer realen Versuchsbedingung er�wartungsgemäß jedoch auch zu Beginn des Spiels auftreten.
Es ist durchaus plausibel, dass jede tiefgreifende Veränderung des Preissetzungsspiels,
wie in diesem Falle ein monetärer Schock, Koordinationsprobleme auslöst. Es ist je�doch erstaunlich, wenn solche Koordinationsprobleme in den allerersten Perioden des
Experiments nicht auftreten. Daher ist es fraglich, ob der beobachtete Effekt wirklich
auf die Existenz von Koordinationsproblemen schließen lässt. So ist es auch denkbar,
dass sich einige Versuchsteilnehmer durch die Ausgabe der neuen Auszahlungsmatri�zen derart verunsichern lassen, dass ihre Preisentscheidungen stark vom Gleichge�wichtspreis P
*
abweichen. Diese Erklärung würde kein Koordinationsproblem darstel�len, würde aber auch nicht im Widerspruch zur nahezu perfekten Koordination in den
ersten Perioden von RH stehen.
4. Schlussfolgerung und Fazit
Obwohl die Geldillusion historisch betrachtet eine nur nachgereihte Bedeutung bei der
Ergründung nominaler Rigiditäten innehatte, so lässt sich schon rein intuitiv ein mög�licher Einfluss ebendieses Phänomens erahnen. Da Wirtschaftssubjekte in der Realität
nahezu ausschließlich in nominalen Werten denken, rechnen und sprechen, scheint ein
irrationales Verhalten nach monetären Schocks in weiten Teilen der Bevölkerung
„vorprogrammiert“ zu sein.
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Die hier präsentierten experimentellen Ergebnisse von Ernst Fehr und Jean-Robert
Tyran (2001: 1239-1262) zeigen einerseits, dass die experimentelle Ökonomie in der
Lage ist, die Effekte der Geldillusion näher zu untersuchen und somit stärker in den
Fokus der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie zu rücken. Des Weiteren offenbart
die Arbeit der Autoren eine duale Wirkung der Geldillusion. So sind zum einen direkte
Effekte möglich, die dann auftreten, wenn Individuen nicht in der Lage sind, in- oder
deflationäre Entwicklungen korrekt zu verarbeiten. Zum anderen sind indirekte Ef�fekte möglich. Dies geschieht dann, wenn Subjekte vermuten, dass andere Wirt�schaftsakteure von Geldillusion betroffen sind, und erstere ihr Verhalten dementspre�chend anpassen.
Da sich in allen Versuchsbedingungen nach einer gewissen Zeit wieder eine deutliche
Tendenz zum Gleichgewicht abzeichnet, bestätigen die Ergebnisse dieses Forschungs�beitrages die monetaristische Theorie, die von nicht vorhandener Neutralität des Gel�des in der kurzen Frist ausgeht. Die Schlussfolgerungen von Fehr und Tyran (2001:
1239-1262) lassen aufgrund zweier Auffälligkeiten jedoch auch Raum für Diskussio�nen. So erscheinen die Argumente für einen direkten Effekt der Geldillusion und für
den Einfluss von Koordinationsproblemen bei genauerer Betrachtung der Ergebnisse
etwas unplausibel. Es stellt sich daher auch zwangsläufig die Frage, inwiefern die In�ferenz der Autoren bezüglich des indirekten Effekts der Geldillusion zutrifft, da sich
die Herleitung dieses Einflusses auch auf die isolierte Betrachtung der beiden zuvor
genannten Effekte stützt.
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5. Literaturverzeichnis
Friedman, M. (1969), Optimum Quantity of Money. Aldine Publishing Company,
New York.
Hayek, F.A. (1931), Prices and Production, Augustus M. Kelly, New York.
Keynes, J.M. (1978), The Collected Writings of John Maynard Keynes.